Tromsø I   und   Tromsø II

Gedanken zu ‚Tromsø‘ I und II

 

 

 

Auffallend ist bei beiden Bildern das Hochformat: hoher Himmel, weites Meer, Berge, Wolken, Abend - hereinbrechende Nacht.

 

 

Das Hochformat umschließt den Betrachter in der Vertikalen. Vielfache Schichtungen ermöglichen Durchblicke und öffnen Weiten. Es bilden sich multiple Horizonte ohne einen festen Betrachterstandpunkt zu definieren.

 

Jede Frage nach konstruierten Perspektiven wird wegen des Streifenmusters zurück gewiesen.

 

Die Breite wird zur Tiefe.

 

Besonders augenfällig ist die reduzierte Palette: z.B. in Tromsø I : Klare Blautöne, gedämpfte Blautöne, graue und grüne, fast gelbe Blautöne. Die Farbreichweite im Bereich der kalten Farben wird völlig ausgeschöpft, keine Neutralisation schränkt die Wirkung ein. Auch in den Farbschichtungen behauptet sich jeder Ton.

 

So baut sich über kraftvollem Ultramarin eine Klangpalette auf. Durchsichtig und wie ein Kristallgitter gelegt, evozieren diese Farbschichtungen Ferne und Klarheit der Luft.

 

Rahmenlos sind sie und müssen es sein, diese Bilder; denn Erfahrungen – in verdichteter, ausgereifter Form – Erfahrungen des Auges – lassen sich auch durch Rahmen nicht begrenzen, nicht „definieren“ als Kunstwerke hinter einer ästhetischen Grenze; sie müssen sich dem Betrachter präsentieren als das, was sie sind: Ein gesprächsbereites Gegenüber, kontaktoffen, aber nicht geschwätzig.

 

 

 

Wer sich auf den Dialog einlässt, spürt schnell, „dass dem Auge des Betrachters im Bilde Wege eingerichtet sind“ (Paul Klee), die nicht nur zu einer künstlerisch-ästhetischen Rezeption führen, sondern die tiefere Schichten des Gemütes bewegen, ohne sentimental und kitschig zu werden.

 

Formale Überlegung: Linie – Fläche – Raum oder Fläche – Balken – Tiefe.

 

Die Ambivalenz von horizontaler und von Tiefendimension auf einer Bildfläche wird hier augenscheinlich.

 

 

 

Die klassische Landschaft steht Pate, die Bilder sind durchaus konstruiert und folgen einem strikten Bauplan – dabei aber überwinden sie die Raumkonstruktion zur Tiefenwirkung:

 

Es gilt nicht vorne = nah = unten im Bild und hinten = fern =oben im Bild, sondern die Bildfläche wird ganz anders aktiviert, nämlich in übereinandergeschichteten Farbschichten, in parallelen oder korrespondierenden Lagen. Die Fläche wird horizontal gegliedert, sodass die Streifen über sie hinausweisen, das Umfeld der Bilder mit eingreifen. Trägerwand und Farbfläche tauschen die Rollen: Die Wand wird zum Raum vor dem Bild, das so in die Tiefe sinkt und dadurch Raumtiefe schafft.

 

 

 

Dr. K. Keßler 2010